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Restaurant of the month November 2021

arrow left Einsunternull, Berlin, Germany arrow right

Im Berliner einsunternull hat der junge Küchenchef Silvio Pfeufer schnell ein eigenes Profil entwickelt, das gekennzeichnet ist durch präzise spannende Geschmackskombinationen, die aber nicht verkopft sind. Dies wird ergänzt durch eine profilierte Weinauswahl und -begleitung.

„Nee, das mache ich nicht“, war Silvio Pfeufers erste Antwort auf die Frage, ob er Küchenchef im Berliner Restaurant einsunternull werden wolle. Damals gehörte er noch zum Team von Jan Hartwig im Drei-Sterne-Restaurant Atelier in München. Sein Chef ermunterte ihn, sich die Offerte aus Berlin wenigstens anzuhören. So erzählte es Silvio Pfeufer im Sommer 2019 – damals noch etwas schüchtern - in unserem Podcast. Er habe sich noch nicht bereit gefühlt für diesen Schritt. Aber das Angebot für den gebürtigen Berliner war mehr als spannend: er bekam die Möglichkeit in seiner Heimatstadt die Küche im einsunternull neu auszurichten und ihr zunehmend seinen Stempel aufdrücken. Wer heute dem 32-jährigen begegnet, trifft auf einen jungen Küchenchef, der genau weiß, was er kann und wohin er will.

Der Besuch des einsunternull in der Hannoverschen Straße in Berlin beginnt mit einem Druck auf die Klingel. Sogleich öffnet sich die Tür zum Restaurant. Durch eine Glasscheibe kann der Gast kurz einen Blick in die Küche werfen, in der Silvio Pfeufer und sein Team die Speisen zubereiten. Serviert wird jedoch eine Etage tiefer, die per Treppe oder Fahrstuhl erreicht wird. Dort ist es aber nicht dunkel: Ein verglaster Lichtschacht lässt natürliches Licht in den Innenraum, der früher mal der Keller einer Brauerei war. Geblieben sind das Tonnengewölbe und die weißen Kacheln. Mit hellen Farben und sachlich-eleganten Möbeln kann sich der Gast im zeitlosen Ambiente wohlfühlen: vom Trubel der Straße, eine Etage über ihm bekommt man jedenfalls nichts mit.

Wie üblich verraten die ersten Snacks schon einiges von der Handschrift eines Küchenchefs. So ist es auch bei den ersten drei Kleinigkeiten, die zum Start des ingesamt sechs Gänge umfassenden Menüs serviert werden. Es wird deutlich, dass Silvio Pfeufer Produkte zu ungewöhnlichen Paarungen verbindet, ohne, dass es geschmacklich kompliziert wird. Beispielhaft dafür ist ein hauchdünner Käsecräcker mit gegrilltem Mais und Maiscreme, sowie Kokos-Espuma. Wer hätte gedacht, dass die dezente Süße des Mais zum exotischen Geschmack von Kokos passt? Aber diese Kleinigkeit beweist es.

Einen ganz starken Eindruck hinterlässt der erste Gang, der auf der Karte als „Skrei – Nordeseekrabbe, Erbse, Dill“ tituliert ist. Gegen Aufpreis kann er um eine Nocke Imperial Auslese Kaviar erweitert werden. Ob mit oder ohne diesem Extra, entwickelt sich auf der Zunge ein sehr komplexes Spiel. Der rohe, dünn aufgeschnittene Skrei und eine Rauchfischvinaigrette geben eine iodige, salzige Grundlage. Dies wird durch den Kaviar noch mehr betont. Erbsen und Dill geben zunächst ein paar frische Noten in das Gericht. Doch sticht man den Löffel tiefer ein, gelangen die Krabben in den Mund. Kaut man etwas länger, treten zunehmend leicht nussige, minimal bittere Noten in Erscheinung. Die kommen nicht nur allein von den Krabben, sondern auch von Mandelstiften, wie der Service auf Nachfrage verrät. Durch die Kombination von Mandel und Krabben und ihrer Textur bekommt das Gericht mehr Fülle im Mund. Das Spiel aus Salzigkeit und Nussigkeit wechselt sich auf der Zunge ab und ist bestens ausbalanciert. Das ist sehr spannend und punktgenau abgestimmt.

Etwas konventioneller erscheint zunächst die Kombination aus Lachsforelle, Kohlrabi und Pistazie. Die leicht erdigen Noten der glasig gegarten rosarosten Forelle und die senfige Würze des Kohlrabis bilden die Basis des Gerichts. Die Pistazie setzt dann schon leicht exotischere Akzente, diese werden aber durch die Säure von einer eingelegten Zitrone verstärkt. Natürlich ist Forelle und Zitrone nichts Exotisches, aber wie hier die Säure punktuell und prägnant auf der Zunge wirkt und sich mit dem feinen Geschmack der Pistazie verbindet bekommt das Gericht schon eine ungewöhnliche Wendung.

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Diese Kompositionen zeigen, dass es Silvio Pfeufer sehr gut versteht, geschmackvolle Gerichte zu entwickeln, die aber nicht zu viel Aromendruck aufbauen, sondern die einzelnen Produkte gut zur Geltung kommen lassen. Dieses Feingefühl ist beeindruckend für einen Koch in diesem Alter – entwickelt dies doch so mancher Kollege erst mit einigen Jahren Erfahrung als Küchenchef. Aber dies verwundert nicht, wenn man sich seinen Werdegang anschaut: nach einer Ausbildung in einem bodenständigen Betrieb im Schwarzwald und einer Station in der Schweiz wollte Silvio Pfeufer die Sterneküche kennenlernen. Angeregt von den Erzählungen eines Kollegen, bewarb er sich bei Jens Rittmeyer, der damals noch auf Sylt arbeitete, fuhr in einem Rutsch von der Schweiz nach Sylt und nach einem Probetag war klar, das er auf der Insel arbeiten wollte. Über ein Praktikum im Drei-Sterne-Restaurant Aqua ging es dann mit Jan Hartwig ins Atelier. Dort erlebte er die Entwicklung vom ersten bis zum dritten Stern mit. Der Wille zur ständigen Verbesserung in allen Bereichen, von den einzelnen Gerichten bis hin zu Arbeitsabläufen, sei für ihn eine äußerst hilfreiche Erfahrung gewesen, sagt Silvio Pfeufer rückblickend.

Dass Sivlio Pfeufer genauso gut mit rustikaleren Aromen Gerichte gestalten kann, zeigt der folgende Gang. Bei dem er einen Calamari mit der paprikawürzigen Sobrassada füllt. Dieser wird mit einem herzhaften Muschelfond serviert. Die Meeresaromen balancieren sich mit dem Paprikageschmack und der Schärfe der Wurst sehr gut aus – und etwas Fenchelgrün gibt  dem Gericht dann auch wieder merklich Feinheit und einen schönen mediterranen Touch.

Im einsunternull gibt es neben dem Menü mit Fisch und Fleisch auch eine vegetarische Variante. Aus diesem stammt ein Pilzgericht mit Topinambur, Zwiebeln und Nüssen. Dies ist ein herbstliches, aber dennoch elegantes Gericht, da die Sauce eher leicht als kräftig ist. Vor allem die feinen, bitteren Noten von den Nüssen ergänzen den Umami-Geschmack der Pilze. Bei der Geschmacksintensität fällt die Abwesenheit von Fleisch nicht auf - im Gegenteil, so kommt der Eigengeschmack der Pilze wesentlich klarer zur Geltung.

Ob Gerichte mit oder ohne Fisch und Fleisch, ob kräftigere oder feinere Speisen, die junge Sommelière Anna Schilling begleitet die Gerichte mit großer Treffsicherheit mit passenden Weinen. Diese waren bei unserem Menü fein kombiniert, vor allem passend zur Struktur und der Intensität der Gerichte. Dabei greift Anna Schilling auch gern mal zu einem Vin naturel oder Orange-Wein und freut sich, wenn Gäste sich bei der Weinauswahl nicht von Vorurteilen, sondern ihrem Geschmack leiten lassen. Aber auch die Auswahl auf der Weinkarte des einsunternull ist mit aktuell 430 Position umfangreich mit Schwerpunkten mit Weinen aus Deutschland und Frankreich.

Am stärksten zeigt sich für unseren Geschmack die Innovationsfreude von Silvio Pfeufer im Hauptgang, was immer besonders aufhorchen lässt, ist er doch in vielen Menüs der langweiligste Gang. Nicht so hier: Zwischen je zwei Tranchen vom Rehrücken mit einer Kruste befindet sich auf dem Teller ein Salat aus Kräutern, Herbsttrompete und dünn gehobelter und eingelegter Schwarzwurzel. Dies kann zusammen zunächst mit einer Johannisbeervinaigrette kombiniert und dann mit einem Rehjus zusammengebracht werden. So sind alle Aromen einen typischen Wildgerichts auf der Gabel, jedoch in einer völlig neuen und ungewohnten Zusammensetzung. So wirkt Silvio Pfeufers Gericht viel frischer und lebendiger als bei einem traditionell gestalteten Wildgang.

Auch beim Dessert mag es das einsunternull-Team eher frisch: Kiwi, Zitronenmelisse und Gurke klingt nicht unbedingt nach Dessert, aber auch die Süße wird nicht vergessen, dennoch bleibt es ein schlankes, nicht belastendes Dessert. Und zum Schluss durchbricht Silvio Pfeufer noch die Berliner Mauer: zu den Petit Fours gehören drei Pralinen, die auf drei Betonelementen serviert werden, die die Form der Berliner Mauer haben.

Gut also, dass Silvio Pfeufer nicht seinem ersten Impuls gefolgt ist und die Herausforderung als Küchenchef im einsunternull angenommen hat, denn sonst wäre den Gästen eine Küche verborgen geblieben ist, die schon sehr erwachsen ist, aber sicher das Ende ihrer Entwicklung noch nicht erreicht hat.

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