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Gusto-Chef: "Es gibt zu viele Restaurantführer auf dem Markt"

Mit der Veröffentlichung des FEINSCHMECKER-Guides beginnt üblicherweise im Spätsommer die Saison der Restaurantführer. Im Oktober folgen dann der Varta-Guide, der Schlemmer-Atlas und der Große Hotel&Restaurant Guide. So richtig spannend wurde es für die meisten Gastronomen und Gourmets aber bislang immer erst Anfang November, wenn der Gault&Millau und vor allem der Guide Michelin ihre neuesten Bewertungen veröffentlichen. In diesem Jahr erscheint der Michelin allerdings etwas später. Seit einigen Jahren ist ein siebter Restauramtführer hinzu gekommen. Der Gusto bildet seitdem traditionell den Abschluss der Restaurantbewertungen, auf deren Basis dann unsere Restaurant-Rangliste entsteht.

Aber neben den Noten veröffentlichen einige Restaurantführer auch mehr oder weniger aussagekräftige Kritiken über Restaurants. Da die Texte im Gusto betont sachlich sind, hat sich der Führer in den vergangenen Jahren in der Szene ein gutes Renomee erarbeitet - etwas, das längst nicht jeder Kritiker oder Guide von sich behaupten kann. Gefälligkeits-Bewrtungen für Werbekunden, oder oft mehrjährige Abstände zwischen Testbesuchen wird manch anderem Führer unterstellt.

Wir haben mit dem Chef Markus J. Oberhäußer über das Restaurantkritiken im Allgemeinen, den Gusto und die aktuellen Entwicklungen in der Restaurantszene gesprochen. Wir trafen ihn in Hamburg, kurz vor dem Testbesuch in einem Restaurant, das seit Jahren zum etablierten Kreis der Hamburger Gourmet-Adressen gehört und bei dem sich schon länger nichts mehr an den Bewertungen in den Führern wesentlich verändert hat.

Wie bereiten Sie sich auf einen Restaurantbesuch, wie den heutigen, vor, wenn es mutmaßlich keine großen Überraschungen geben wird, weil das Restaurant seit Jahren qualitativ und stilistisch stabile Bewertungen hat?

Gar nicht. Im Endeffekt ist es für eine Restaurantbewertung immer das A und O, so unvoreingenommen wie möglich in ein Restaurant zu gehen. Das ist natürlich schwierig, denn entweder kenne ich das Restaurant und die Küche bereits von früheren Besuchen, oder ich habe mir vorher zumindest die Speisekarte angesehen. Und jedes Restaurant suggeriert ja auch einen bestimmten Anspruch nach außen, der ganz automatisch eine bestimmte Erwartungshaltung weckt. Aber ich denke schon, dass es möglich ist, sich vorher quasi auf Null zu bringen und ein Restaurant mit einer neutralen Grundhaltung zu besuchen.

Das heißt, für die Bewertung spielt es für Sie keine Rolle, wie sich das Restaurant gegenüber dem Vorjahr entwickelt hat, sondern es zählt immer der Vergleich mit anderen?

Im Prinzip schon. Natürlich spielt auch die Entwicklung der Küche eine Rolle. Wenn sie sich erkennbar positiv weiterentwickelt, wird es irgendwann automatisch zu einer Aufwertung kommen, weil ja das Niveau entsprechend gestiegen ist. Grundsätzlich entstehen die Bewertungen aber in erster Linie im Quervergleich mit den anderen gleich oder ähnlich eingestuften Restaurants. Das muss stimmig sein. Wir haben von Anfang an einen klaren Rahmen für unsere Bewertungen kommuniziert. Das war wichtig, weil wir ja neu auf den Markt gekommen sind. Da muss man seine Maßstäbe sehr genau erklären.

Schreiben Sie dann Ihre Kritik direkt nach dem Besuch, oder wie läuft das ab?

Ja, auf jeden Fall. Für mich ist es sehr wichtig, so schnell wie möglich den Bericht zu schreiben und ganz frische Eindrücke einfließen zu lassen. Es soll ja nicht nur eine stimmige Bewertung geben, sondern auch einen brauchbaren Text für die Leser, die sich genauer für ein Restaurant interessieren. Kein oberflächliches Bla Bla, sondern detaillierte, möglichst präzise Beschreibungen. Ich versuche, im Restaurant schon das ein oder andere mit dem Handy festzuhalten. Das geht zum Glück relativ unauffällig, weil ja heutzutage viele Gäste mit dem Handy 'rumspielen.

"Kein oberflächliches Bla Bla, sondern detaillierte, möglichst präzise Beschreibungen."

Meines Erachtens hebt sich der Gusto aber vor allem dadurch ab, dass er zuerst Gerichte präzise beschreibt und dann ein Urteil dazu abgibt. Bei anderen fehlt diese sachliche Beschreibung meist und man liest nur, ob es dem Kritiker gefallen hat, oder nicht. Wie haben Sie sich diesen Stil erarbeitet?

Das hat sich entwickelt. Ich finde es wichtig, Kritik so sachlich wie möglich zu formulieren. Natürlich juckt es manchmal, ein bisschen salopper oder polemischer zu schreiben. Das würde zwar sicherlich der Belustigung der Leser dienen, aber ich denke, man hat unterm Strich mehr davon, wenn der Text sachlich und neutral geschrieben ist.Die Texte anderer Restaurantführer haben vielleicht einen höheren Unterhaltungswert als unsere, aber das ist nicht die Zielsetzung.

Für die Beschreibung eines Weines gibt es komischerweise eine relativ formalisierte Fachsprache, für Essen nicht. Wäre es ihr Wunsch, dass sich etwas in der Richtung etablieren würde?

Ich denke, es schreiben mehr Menschen professionell über Wein als über Restaurants. Der Wortschatz der Weinbeschreibungen ist aber auch sehr eingeschränkt. Es ist sicher kein Vergnügen, Parker oder Gambero Rosso als Lektüre zu lesen. Mir würde es reichen, wenn wir es für den Gusto schaffen, eine eigene Linie zu etablieren. Stilbildend zu sein, ist nicht unsere Intention.

"Durch Effekthascherei mehr Aufmerksamkeit zu erreichen, ist nicht unser Anspruch."

Der Gusto hat in den vergangenen Jahren vor allem unter Fachleuten in der Branche ein hohes Renommee erreicht. Aber der Gusto ist längst nicht so bekannt, wie andere Führer. Hängst das eine mit dem anderen zusammen? Verhindert also die sachlichere Kritik, dass der Gusto eine größere Breitenwirkung erreicht?

Mit reißerischen Texte und streitbaren Thesen kann man in der Medienwelt mehr Aufmerksamkeit erhaschen. Das ist natürlich – sagen wir mal – ein Nachteil unser sachlichen Schreibweise. Wir sind stärker in der Nische. Durch Effekthascherei mehr Aufmerksamkeit zu erreichen, ist nicht unser Anspruch.

Aber der Gusto hat schon mit Bewertungen Aufsehen erregt. Sie haben mutig einigen jungen Köchen schnell hohe Bewertungen gegeben, andere Führer sind dann nachgezogen. Sie haben „Altmeister“ mit der nachvollziehbaren Begründung abgewertet, da sich die Spitzenküche in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat. Andere trauen sich das nicht. Und Sie haben Restaurants, wie die Meierei Dirk Luther und das Falco Ihre Höchstnote gegeben. Auch nachvollziehbar, wenn ich dies mit den Berichten in unserem Forum vergleiche, aber Sie haben sich damit vom Mainstream der Führer abgesetzt. Waren das bewusste Schritte?

Wir machen uns mit den Bewertungen viel Arbeit und diskutieren intern darüber. Ich würde nie eine Bewertung abgeben, hinter der ich nicht hundertprozentig stehe, gerade wenn ich weiß, dass die szeneinterne Diskussionen auslösen wird. Das geschah immer mit voller Überzeugung. Wir sind nicht konservativ. Das heißt, bei uns gibt es eine Aufwertung, wenn die Performance stimmt, während andere Führer vielleicht zurückhaltender sind, wenn ihnen die Stilistik zu progressiv erscheint. Aber: wenn die Qualität nicht höchstes Niveau hat, dann gibt es auch keine zehn Pfannen. Aber auch Abwertungen werden nicht aufgrund von Momentaufnahmen getätigt. Da diskutieren wir dann auch schon länger darüber. Wir wollen auch kein ständiges Auf und Ab, sondern mit den Bewertungen den längerfristigen Trend eines Restaurants aufzeigen. Ein Hin und her bei den Bewertungen ist für mich eher ein Zeichen, dass nicht besonders souverän geurteilt wird, seitens des Kritikers.

Eine besondere Rolle spielt auch immer Ihr Vorwort. Haben Sie sich schon festgelegt, welche Themen Sie dieses Jahr ansprechen werden?

Ein Teil ist schon fertig, ein Teil muss noch geschrieben werden. Sicher werde ich den Trend ‚Back to the Roots‘ ansprechen. Den verfolgen viele. Er wird aber auch von vielen missverstanden. Einfach nur wenig auf den Teller zu legen, um vermeintlich das Produkt herauszustellen, ist es auch nicht das Wahre. Dann will ich noch die immer drastischeren Einschränkungen der Service- und Öffnungszeiten mancher Restaurants ansprechen. Arbeitszeitgesetz hin oder her - es kann nicht Sinn und Zweck sein, ein Restaurant nur noch an zwei oder drei Abenden zu öffnen, um für's Renomee irgendwelche Bewertungen zu halten. Wenn nicht mehr genug Gäste kommen, um rentabel vier oder fünf Servicezeiten in pro Woche realisieren zu können, ist es vermutlich an der Zeit, das Konzept komplett zu überdenken und zu sanieren.

"Die ausschließliche Verwendung regionaler oder lokaler Produkte auch schon zum Mainstream geworden."

Schon seit einigen Jahren scheint die Bedeutung des Konzepts für den Erfolg eines Restaurants stark zugenommen zu haben. Die Zeit des klassischen Gourmetrestaurants in einem Hotel scheint vorbei zu sein. Es wird vermeintlich individueller. Aber wird das nicht überreizt, weil am Ende wieder nur international erfolgreiche Konzepte kopiert werden?

Klar, die Frage des Konzepts wird immer wichtiger. Aber es gibt auch oft nur Konzepte des Konzeptes Willen. Zum Beispiel ist die ausschließliche Verwendung regionaler oder lokaler Produkte auch schon zum Mainstream geworden. Da gibt es in Berlin jetzt schon vier oder fünf sehr ähnliche Restaurantkonzepte und weitere ziehen nach. Ich denke, mehr denn je ist es wichtig, eine eigene authentische Linie zu entwickeln und nicht krampfhaft einem bestimmten Stil oder Trend zu folgen.

In dem Sinne ist ein Restaurant, wie das Sonora hochauthentisch.

Definitiv. Es kommt meines Erachtens immer darauf an, dass ein Koch etwas aus voller Überzeugung macht und seinem eigenen Instinkt folgt. Da sind viel zu viele Köche, die nach rechts und links schielen und sich fragen:  "wie bekomme ich eine bestimmte Auszeichnung, was kann ich mir erlauben, um die Bewertungen nicht aufs Spiel zu setzen". Es fehlt der Mut, eigene Sachen zu machen. Man braucht sich nicht zu wundern, dass die echten Trends immer in anderen Ländern wie etwa Spanien oder Skandinavien entstehen, weil bei uns mutlos agiert wird. Die einzige Ausnahme war vielleicht die Neue Deutsche Küche, wie sie Sven Elverfeld oder Joachim Wissler mal praktiziert haben. Die haben ihre Art zu kochen aber inzwischen auch wieder etwas anders entwickelt und so ist da ist keine größere Bewegung draus geworden.

"Eigentlich gibt es auf jeden Fall zu viele Restaurantführer für den Markt."

Wie erklären Sie sich, dass Deutschland ein Land ist, in dem es so viele Restaurantführer gibt, aber – so sagt man es jedenfalls – nicht besonders viele Gourmets?

In Deutschland ist es offenbar für gewisse Verlage nach wie vor ein einträgliches Geschäft, einen Restaurantführer herauszugeben. Aber eigentlich gibt es auf jeden Fall zu viele Restaurantführer für den Markt.

Haben wir denn trotz der vielen Führer eine ausreichend große Meinungsvielfalt?

Ich versuche, es diplomatisch zu sagen: wenn alle Restaurantführer, die auf dem Markt sind, wirklich eine eigene Linie erkennen ließen, wäre das gut. Dann gäbe es bei dem ein oder anderen Restaurant Bewertungen, die viel stärker voneinander abweichen würden. Ich habe aber den Eindruck, dass die eine Hälfte der Führer von der anderen abschreibt. Wenn ich mal in einer Buchhandlung bin und da den einen oder anderen Führer querlese, sehe ich da viele nichtssagende Beschreibungen. Man kann dem Leser auch in einem kurzen Dreizeiler präzise vermitteln, wie in einem Restaurant gekocht wird. Oft wird da aber nur mit Floskeln gearbeitet und die Beschreibungen sind völlig austauschbar.

Bald kommt der Gusto 2017 heraus. Was passiert jetzt noch in den letzten Wochen vor Redaktionsschluss?

Wir versuchen noch die Lücken zu schließen. Es wird gerade zum Ende immer schwieriger die Termine zu koordinieren. Gegen Ende der Saison werden die Fahrtstrecken immer abenteuerlicher und unökonomischer. Das kann es sein, dass ich am Abend in Saarbrücken bin und am nächsten Mittag in der Oberpfalz. Und dann wird bis zuletzt an den Texten gearbeitet. Das ist eine sehr anstrengende Zeit. 

Der Gusto 2017 geht am 9. Dezember online.

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